Es ist Oktober und das Jahr des Herrn 1796 neigt sich dem Ende zu. Es regiert eine Zeit relativer politischer Stabilisierung. Mitte des Jahres ist der Dichter Robert Burns im Alter von 37 Jahren gestorben, dessen Gedichte ihn zu einem schottischen Nationalheld machten und der nun nach seinem Tod auch von der gemeinen Bevölkerung sehr betrauert wird.

Zu Beginn des 18. Jahrhundert wird aus reiner Not beschlossen die Stadt Edinburgh zu erweitern. Zu dieser Zeit leben etwa 50.000 Menschen innerhalb der alten Stadtmauern.

Als 1759 der stinkende und völlig verseuchte Nor‘ Loch trocken gelegt werden muss, beginnt man mit den Planungen für einen neuen Stadtteil, jenseits des ehemaligen Nor Lochs. Im Jahr 1767 gewinnt überraschend der junge Architekt James Craig die Ausschreibung des Stadtrates für den Bau der New Town. Sein einfaches und klares Konzept weiß zu begeistern und überzeugt den Rat.

Und so wird die New Town für die Menschen von Rang und Vermögen konzipiert und vom Gregorianischen Baustil geprägt. Die breite und elegante George Street soll die alte High Street (Highstreet = Hauptstraße) der Old Town ersetzen, was allerdings nicht wirklich gelingt. Man wohnt zwar in der eleganten und prächtigen New Town, seinen Geschäften aber ghet man nach wie vor in der Old Town nach.

Wir sind mit der Kutsche auf dem Weg, einer Einladung von John Lamont of Lamont, 18. Laird des Clans der Lamont, folgend. Er ist seit diesem Jahr stolzer Besitzer eines Hauses am Charlotte Square, das ihn die Summe von 1800 Pfund gekostet hat. Um seine gesellschaftliche Stellung zu festigen und für die Erziehung und Zukunft seiner Kinder, fiel ihm die Entscheidung nicht schwer, sein Landgut in Argyllshire zu verlassen und in die Stadt überzusiedeln. John Lamont ist Grundbesitzer und Gentleman. Allerdings munkelt man bereits darüber, dass er sich mit seinem extravaganten Lebensstil schnell übernehmen wird. So wird er wohl immer wieder gezwungen sein Besitz zu verkaufen, um seine steigenden Schulden zu decken.

Wir biegen über den St. Andrews Square in die George Street ein. Vorbei an prächtigen Stadthäusern und einer Reihe an Kirchen bis wir das Pendant dazu, den Charlotte Square erreichen.

Der schottische Architekt Robert Adam hat dem Charlotte Square seine elegante, palastartige und einheitliche Fassade verliehen. Kaum kann man feststellen wo ein Haus aufhört und das nächste beginnt.

Vor dem Haus No. 7 erwartet man uns bereits.

John Lamont beschäftigt sechs Hausangestellte, die für sein Wohl, das seiner Familie und das seiner Gäste sorgen. Die Angestellten leben und arbeiten im Basement. Sie verteilen sich nach der Stellung die sie im Haushalt einnehmen, auf drei Schlafzimmer. Cook‘s, Upper Servants und Servant’s Bedroom.
Betty, die elfjährige Scullerymaid (Scullery = Spülküche), nimmt den niedrigsten Rang in der Hierarchie der Bediensteten ein und ist gleichzeitig auch die Hausangestellte, die für 8 Pfund im Jahr, die meisten Stunden arbeitet. ‚Cook‘ (Cook = Anrede und Titel der Köchin) genießt eine Sonderstellung im Haus und verfügt über ein eigenes Zimmer.

Wir betreten den Ground Floor durchschreiten, die längliche Entrance Hall, bis wir in die Inner Hall gelangen, deren Treppen ins Basement und in den First Floor führen. Von hier aus werden wir in den prachtvoll ausgestatten Master Bedroom von John Lamont und seiner Frau Helen geführt und von den Hausbesitzern herzlich begrüßt.
Vor dem wärmenden Kamin nehmen wir den Tee zu uns. Zwar tut die Wärme des Kamins unserem Wohlbefinden gut, dennoch ist sie nicht sehr förderlich für unsere Gesichtsschminke, die hauptsächlich aus Wachs besteht, welches leicht in der Hitze des Feuers schmilzt. Zu diesem Zweck sind kleine, hübsch bestickte Wandschirme, auf Höhe unserer Gesichter aufgestellt.

Da es bereits auf 5 Uhr am Abend zu geht, halten wir uns nicht lange dort auf sondern ziehen uns zum Dinner um und nehmen unsere Plätze, im dem neben dem Master Bedroom liegenden eleganten Dining Room, rund um die Tafel ein.

Der Tisch ist mit allen Speisen, die das Haus zu bieten hat, gedeckt. Der französische Dinnerablauf ist noch nicht in Edinburghs Gesellschaft eingeführt worden, bei dem die Speisen nach und nach, Gang für Gang, aufgetragen werden. So steht von der Suppe bis zum Hauptgang, der Reihe nach von rechts nach links, alles auf dem langen Tisch. Die fantatsievollen und sehr aufwendig dekorierten Fasane erfreuen unser Auge. Wertvolles holländisches Porzellan und unzählige schwere Silbertabletts funkeln mit spiegelndem Glas um die Wette. Beim Dinner unterhält man sich über das Wetter, die politische Lage der Nation und tauscht aktuelle Neuigkeiten aus.
Erst nach Ende des letzten Ganges wird für die Süßspeise der Tisch neu eingedeckt.

Nach dem Essen ziehen sich die Damen in den First Floor zurück und promenieren im Drawingroom, mit Blick auf den Charlotte Square, auf und ab und vergnügen sich beim Austauschen des neusten Klatsches. Die Herren verbleiben währenddessen im Diningroom und geben sich gepflegt stärkeren Getränken hin.

Weitere Gäste stoßen dazu und als die Herren die Runde wieder mit ihrer Anwesenheit beehren, wird der Tanz im Drawing Room eröffnet. Aus Platzgründen wird die Tür zum Parlour (Parlour =Wohnzimmer) geöffnet in dem Tische zum Kartenspiel und Sitzecken zum Plauern einladen. In das Parlour dürfen auch die Kinder der Familie, wenn sie Zeit mit ihren Eltern im Haus verbringen. Ansonsten halten sie sich in ihren Zimmer im Attic (Attic = Dachgeschoss) unter Aufsicht der Nurserymaid auf.

Die Gesellschaft verbleibt bei Tanz, Spiel und Gesprächen bis in die späten Nachtstunden und der Abend wird als Erfolg für die Gastgeberin verbucht.

Sehr viel später werden wir uns in einem der Bedrooms des Second Floors zur Ruhe begeben. Viel Schlaf finden wir nicht, denn am nächsten Morgen drängt uns ein großes Ereignis zeitig aus dem Bett und zurück auf die Straße: der berüchtigte William Deacon Brodie wird gehängt.

(Hier habe ich mir ein wenig erzählerische Freiheit gegönnt, denn William Brodie wurde bereits im Oktober 1788 hingerichtete, damals waren aber die Häuser am Charlotte Square noch nicht fertig gestellt. Aber er hätte auch 8 Jahre später sein Unwesen treiben können).

Bis zu 20.000 Menschen warteten gespannt auf das zu Schauspiel. Die Bewohner, deren Wohnungen um den Galgenplatz lagen, haben ihre Fenster an den Meistbietenden vermietet und so kommt es, dass auch unsere Gastgeber, die Lamonts sich nicht lumpen lassen und für uns einen solchen Fensterplatz gekauft haben, der uns eine einmalige Sicht über die Menge bietet. Nach 30 gespannten Minuten ist alles vorbei und der Arzt bestätigt den Tod von William Brodie. Wir schließen uns der zerstreuenden Menschenmenge an. Ein wenig später trifft man sich in den Pubs der Old Town, um über das Geschehen und die Taten von William Brodie, einem einstmals angesehenen Bürger der Stadt, zu diskutieren.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit drängt John Lamont auf eine schnelle Rückfahrt.

(Nachdem die wohlhabenden Bürger die Old Town verlassen hatten und in die New Town gezogen sind, hinterließen sie die Straßen um den Lawnmarket und die Highstreet den Ärmsten der Armen, die aus den Highlands hungernd in die Stadt gezogen waren. Auch Einwanderer aus Irland und Wales, die Missernten und Hungersnöte vertrieben hatten, schlugen ihr Lager in der Old Town auf.
Bis ins 20. Jahrhundert hinein, als man begann die Old Town touristisch aufzupolieren, wurde es zu einem höchst unsicheren Pflaster, das man nach Einbruch der Dunkelheit besser nicht mehr betrat.)

Mit Ende der Ballsaison ist nun auch unser Abschied von Charlotte Square No. 7 gekommen. Wie es sich zeigte, war es unser einziger Besuch im Haus von John Lamont, denn 1815 war er hoch verschuldet und so gezwungen das Haus für 3000 Pfund an die Witwe Catherine Farquharson aus Invercauld verkaufen.

 

(Text: AS, Bilder selbst)